Kristina Schröder, betonte, dass die Erwerbsarbeit der entscheidende externe Taktgeber des Familienlebens sei und kritisierte die Präsenzkultur in deutschen Unternehmen. Die Ministerin forderte eine flexiblere Arbeitszeitkultur, die vollzeitnahe Teilzeitmodelle stärker ermöglicht als bisher. Die Tarifpartner sollen dafür nötige Spielräume schaffen und der Staat stelle den bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung sicher.
Merkel verband die Unterzeichnung einer "Charta für familienbewusste Arbeitszeiten" durch die Familienministerin und die Spitzen von Arbeitgebern und Gewerkschaften mit der Debatte zur Frauenquote. In den Führungspositionen der Wirtschaft, so Merkel, säßen "vorsichtig formuliert nicht die Experten für familienbewusste Arbeitszeiten". Über familienfreundliche Modelle entscheiden in den Unternehmen vor allem Männer. "Und das sind oft die, die sich in der Verantwortung für die Familie weggeduckt haben", so die Kanzlerin.
Familienbewusste Arbeitszeiten hält Merkel für entscheidend, damit Deutschlands Chefetagen weiblicher werden. "Wenn Familie und Beruf nicht vereinbar sind, dann kommen Frauen nie in Führungspositionen". Und dass diese in den größten deutschen Unternehmen nur zu drei Prozent mit Frauen besetzt sind, sei ein "ziemlicher Skandal" befand sie. Seit zehn Jahren gilt die freiwillige Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft, diese Quote deutlich anzuheben. Wenig sei passiert, so Merkel, der Handlungsbedarf sei dringend. "Wir geben ihnen noch eine Chance", drohte die Kanzlerin der Wirtschaft: "Seien Sie kreativ, sonst werden wir es."
In der anschließenden Diskussion betonte DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel, familienfreundliche Arbeitszeiten und die Chancengleichheit von Männern und Frauen wären nicht nur ein Gebot des Fachkräftemangels, sondern eine Frage des Respekts vor den Arbeitnehmer/innen.
Die Charta thematisiert eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, denn familiengerechte Arbeitsbedingungen sind der Schlüssel zu einer geschlechtergerechteren Arbeitsteilung. Der Wunsch nach mehr Zeit für Familie steht bei berufstätigen Eltern ganz oben auf der Prioritätenliste. So gaben in einer Befragung der Gesellschaft für Konsumforschung 90% aller Berufstätigen mit Kindern an, dass ihnen Angebote für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Arbeitgeberwahl mindestens so wichtig sind wie das Gehalt. Und laut Bundesfamilienministerium sind nur ein Drittel der Eltern zufrieden mit ihren Arbeitszeiten.
Die unterzeichnete Selbstverpflichtung zeigt, dass das Problembewusstsein für Vereinbarkeitsfragen in Politik und Wirtschaft durchaus gewachsen ist. Aber wenn Gesamtmetall im Vorfeld des Treffens erklärt, 99 Prozent der Unternehmen seien bereits familienfreundlich, offenbart sich, dass die Wahrnehmung der Wirtschaftsverbände und die der Eltern weiterhin auseinander klaffen. Auch das Beharren der Vertreter der Wirtschaftsspitzenverbände auf individuelle Vereinbarkeitslösungen statt kollektiver oder gesetzlicher Regelungen zeigt einmal mehr, dass Ulrich Beck mit seiner Einschätzung aus dem Jahre 1990 zur Bereitschaft der Männer zu geschlechtergerechter Arbeitsteilung nach wie vor Recht hat: "Verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre."
Und dass Papier geduldig ist, verdeutlicht die seit zehn Jahren bestehende Selbstverpflichtung der Wirtschaft zu Frauen in Führungspositionen. Hier wie da nützen unverbindliche Erklärungen guten Willens allein wenig. Es kommt darauf an, sie in der Unternehmenskultur täglich mit Leben zu füllen: z.B. durch flexiblere Teilzeitmodelle und bessere Aufstiegschancen für Frauen.